Fallvignetten
Lara (14 Jahre): „Hallo Mut, schön dass es Dich gibt, ich hab Dich schon so oft gebraucht“
Mut: „Ja ich weiß, wenn Du mich nicht hättest, dann wärst Du nicht so weit gekommen!“
Lara: „Das stimmt, wenn ich nur daran denke, wie Du mir geholfen hast, wieder in die Schule zu gehen. Ohne Dich hätte ich das nicht geschafft.“
Mut: „Ja das finde ich auch, da hab ich ganz schön ackern müssen. Wie oft wolltest Du aufgeben. Aber schließlich haben wir es dann doch geschafft.“
Lara: „Danke, dass Du an mich geglaubt hast und nicht aufgegeben hast. Das werde ich mir merken, nicht aufgeben, einfach durchhalten, dann wird es auch was.“
Mut: „o. k, das ist gut.“
Therapeut: „Lara, wie fühlst Du Dich jetzt n diesem Moment?“
Lara: (verlegen) „Ganz gut, irgendwie stabiler“
Lara schaut den Therapeuten an, beide freuen sich. (aus: Elke Garbe, „Das kindliche Entwicklungstrauma, Klett-Cotta, Stuttgart, 2. Auflage, 2017)
Herr M. (20 Jahre): „Du bist meine Faulheit, ich will Dich am liebsten gar nicht sehen“.
Mutlosigkeit: „Ja ich weiß, aber ich bin nun mal da, auch wenn Du wegschaust und mich nicht respektierst.“
Herr M.: „Wenn Du da bist, wird das Faulsein zu viel und ich kann gar nicht damit aufhören.“
Mutlosigkeit: „Das weiß ich, ich bin groß und stark in Dir, da kommst Du nicht so schnell gegen an.“
Herr M: „Ja, dadurch vermiest Du mir vieles, ich hab sogar meine letzte Lehrstelle durch Dich verloren, das ist ganz schön blöde.“
Der Patient wirkt zerknirscht und weiß nicht recht weiter.
Therapeut: „Vielleicht sollten Sie mal auf die Ressourcen schauen, vielleicht finden sie eine, die Ihnen weiterhelfen kann.“
Herr M.: „O. k. ja vielleicht mein vernünftiger Anteil. Kann ich ihn fragen, ob er mich unterstützen will?“
Therapeut: „Ja“
Herr M.: „also Mister Vernünftig, ohne Dich komme ich hier nicht weiter, kannst Du mich unterstützen, dass ich es schaffe, den Faulpelz in mir in Bewegung zu kriegen?“
Vernunft: „Gut, das wird aber auch Zeit, dass Du mich einbeziehst, versuchen wir es.“
Therapeut mischt sich ein: „Vielleicht sollten Sie mal schauen, wer da wirklich liegt. Ich sehe da nur die Mutlosigkeit“.
Herr M. ist erschrocken: „Aber er tut ja gar nichts“.
Therapeut: „Eben, er traut sich nicht. Kann es sein, dass Sie Ihre Mutlosigkeit bisher als Faulheit verstanden haben?“
Herr M.: „Mein Vater hat immer gesagt, dass ich faul bin.“
Therapeut: „Und das glauben Sie bis heute.“ Patient nickt und wird traurig.
Herr M.: „Ich muss wohl mehr nach innen hören, was die Anteile wirklich zu sagen haben.“
Therapeut: „Ja, das ist eine gute Idee, das sollten Sie versuchen.“ (aus: Elke Garbe, „Das kindliche Entwicklungstrauma, Klett-Cotta, Stuttgart, 2. Auflage, 2017) Therapeut: „Sie haben bisher sich selbst mit ihren Ressourcen, ihrem sozialen Netz und ihren schwierigen, belastenden Anteilen Hier und Jetzt symbolisch dargestellt und eine Zukunftsvision entwickelt. Dabei haben sie erkennen können, dass einige Anteile bereits sehr früh in einer Zeit entstanden sind, in der es dem Kind, dass Sie einmal waren, nicht gut ging. Sie haben für diese Zeit einen zweiten Raum abgegrenzt, den haben Sie etwas entfernt von den beiden ersten Räumen verortet. “
Herr M. (20 Jahre): „Ja, das stimmt, denn seitdem ist ja Zeit vergangen.“
Therapeut: „Sie sind heute in der Lage, aus einer sicheren Position heraus einen ersten inneren Blick auf diese schwere Zeit zu wagen. Sie wirken dabei zwar etwas angespannt, sind aber doch fähig, diesen Blick auszuhalten, stimmt das?“
Herr M.: „Ja, das haben wir ja gerade mit der Belastungsskala geprüft.“
Therapeut: „Das ist gut. Heute möchte ich, dass Sie sich einfach klar machen, in welcher Zeit sie sich jetzt befinden und welches Datum wir heute haben?“
Herr M.: „Das weiß ich, das ist der 10. Februar 2012, und ich weiß auch, dass ich hier in der Praxis bei meinem Therapeuten bin und dass hier Sicherheit besteht“
Therapeut: „ Prima, das wollte ich Sie gerade fragen. Ja, Sie sind jetzt ein erwachsener Mann, damals waren Sie ein Kind, wie alt sind Sie heute?“
Herr M.: „Ich bin jetzt 20 Jahre.“
Therapeut: „Ja, dann gehen wir jetzt einen Schritt weiter, o. k?“ (Patient nickt) „Welche Zeit befindet sich in diesem 3. Raum, und wo war das?“
Herr M.: „ Das war von 1978 – 1988, 10 Jahre lang, und das war in S.“
Therapeut: Wie alt war das Kind, dass sie damals waren?“
Herr M.: „Es fing eigentlich mit 4 Jahren an und dauerte bis 14.“
Therapeut: „ Ja, das waren 10 Jahre. Wie viel Zeit liegt zwischen dem Dort und Damals und dem Hier und Jetzt?“
Herr M.: „Seit es aufgehört hat: —6 Jahre, eine ganz schön lange Zeit, das muss ich mir mal so richtig klar machen, weil ich ja immer wieder denke, das war gerade gestern.“
Therapeut: „Ja das ist gut sich das ganz klar zu machen, dann gelingt es Ihnen vielleicht leichter, sich von Erinnerungen aus dem Dort und Damals zu distanzieren. Sie können den Abstand zwischen dem zweiten Raum zu dem ersten auch noch mal überprüfen, ob er diese Zeit wirklich repräsentiert. Sie können auch zwei weitere Seile nehmen und die Grenzen zwischen diesen Räumen noch einmal markieren.“
Herr M. tut dies: „Ja so passt es. Das Bild nehme ich heute mit, da schau ich in der Woche immer mal wieder drauf, damit mir das ganz klar wird.“
Therapeut: „Das sollten Sie tun. Sie haben heute einen wichtigen Schritt getan. Das sollten sie würdigen“.
Herr M.: „Hab ich schon, hab mir in Gedanken dreimal auf die Schulter geklopft und mir gesagt, „das hast du gut gemacht!“
Therapeut: „Das hören und spüren sicherlich auch alle anderen Selbstanteile, denen wird es auch gut tun, was Sie heute geschafft haben.“ (aus: Elke Garbe, „Das kindliche Entwicklungstrauma, Klett-Cotta, Stuttgart, 2. Auflage, 2017)
Jenny (14 Jahre): „Ja, ich hab mir damals schon immer auf die Lippe gebissen, damit ich das Innere aushalten konnte.“
Therapeutin: „Was war denn da innen?“
Jenny: “Immer schon stand ich unter Strom, ich hätte schreien können, mich wehren können, aber ich traute mich nicht. Und dann war ich so einsam —- da hab ich mir eben auf die Lippe gebissen, wenn das dann weh tat und das Blut floss, war es etwas besser. Ich wusste wieder, dass ich da bin.“
Therapeutin: „Ja das verstehe ich, das war doch sehr gut, dass Du damals dieses Mittel gefunden hast, um die schlimmen Gefühle auszuhalten.“
Jenny: „Ja, aber nun verletze ich mich immer noch. Und die Anderen können das sehen, wenn die Lippe blutet, dann schäme ich mich.“
Therapeutin: „Ja, vielleicht meldet sich da in Dir dann das kleine Mädchen, das damals so allein war und so gerne wirklich gesehen werden wollte, denn heute bist Du nicht mehr einsam.“
Jenny: „Ja das kann sein, das die auch heute noch da ist – als Erinnerungspur – wie Sie sagen.“
Therapeutin: „Was könnte die brauchen, was täte der denn gut?“
Jenny. „Das jemand sie in den Arm nimmt und sie tröstet.“ Sie fängt an zu weinen.
Therapeutin. „ Kannst Du diese kleine Figur, die das Mädchen symbolisiert, einmal nehmen und sie halten?“
Jenny nimmt die Figur, umschließt sie mit den Händen und drückt sie an ihr Herz. Sie weint.
Therapeutin: „Ja, das ist gut so, dass tut ihr gut, dass wird sie beruhigen und entspannen. Lass Dir Zeit.——- Vielleicht ist es hilfreich, wenn Du für das kleine Mädchen innerlich einen sicheren Ort baust, wo es sich geschützt aufhalten kann.“
Jenny: „Das ist eine gute Idee. Ich wohn ja jetzt in der Wohngruppe, ich stell mir einfach vor, dass sie eine kleine Kuschelecke in meinem Bett hat, — die werd ich nachher einfach bauen. Und dann nehme ich mir das kleine Holzherz, was ich mal geschenkt bekommen habe. Das ist dann die Kleine, mein Überlebenskind, die leg ich dann da rein. Das darf ich bestimmt. —-Und heute hat meine Bezugserzieherin Dienst, die frag ich, ob sie mich mal in den Arm nimmt, die tut das bestimmt.“ (aus: Elke Garbe, „Das kindliche Entwicklungstrauma, Klett-Cotta, Stuttgart, 2. Auflage, 2017)